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Das Loch in der Erde oder der Alltag des Doktor Jones

Oktober 9, 2012

Jeder der einen Indiana-Jones-Film gesehen hat weiß wie der Alltag von Archäologen aussieht: Sekten, Kommunisten oder Nazis bekämpfen, wertvolle Artefakte finden, aus Tempeln mit tödlichen Fallen entkommen und anschließend das Mädchen bekommen – für Archäologinnen: die bekommen dann den hübschen Mann am Ende.

Damit wäre das tägliche Werk der Archäologen beschrieben. Naja, fast. Die Wahrheit ist, dass die meisten Arbeiten die Archäologen zu erledigen haben weitaus gewöhnlicher sind. Die wenigsten Menschen scheinen dabei zu wissen was wir machen und wie das so abläuft. Klar wir buddeln in der Erde mit viel zu kleinen Pinseln und Schaufeln herum, aber was gehört noch alles dazu? Dazu muss man wissen, dass es grundsätzlich zwei Varianten von Grabungen gibt: die eine Variante nennen die Archäologen Notgrabung, die andere nennen sie einfach nur Grabung oder Ausgrabung – ich verwende hier den Begriff wissenschaftliche Grabung zur besseren Unterscheidung der beiden, aber auch eine Notgrabung ist eine wissenschaftliche Grabung. Eine Notgrabung entsteht aus einer, wie der Name schon andeutet, Notsituation, die meist durch Bauprojekte ausgelöst wird, bei denen nicht geprüft wurde, ob der Boden archäologisch wertvolle Gegenstände enthält. Eines kann ich Ihnen versichern: diese Ausgrabungen sind meistens unbequem, da sie unter Zeitdruck durchgeführt werden, der sich auch in Gestalt der immer näher rückenden Baumaschinen manifestiert. Es ist kein sehr angenehmes Gefühl einen mehrere Tonnen schweren Bagger jeden Tag näher kommen zu sehen, wo doch noch so viel Arbeit zu tun bleibt. Diese Grabungen sind jedoch die Ausnahme, auch wenn sie aufgrund von verschärften Denkmalschutzgesetzen und zunehmender Bautätigkeit immer größeren Anteil an den Grabungen einnehmen.

Die große Menge der Grabungen sind wissenschaftliche Grabungen. Dabei wird versucht bestimmte Fragestellungen zu klären. Einerseits sind das Fragestellungen zur Baugeschichte von Monumenten, aber auch zur Nutzung von Gebäuden oder Klärung der Besiedelungsgeschichte einer Stadt. Je nachdem wie die Fragestellung genau lautet müssen auch andere Aspekte bei Grabungen beachtet werden.

Was kommt jedoch vor der Grabung? Archäologen sind ja keine irren Wissenschaftler die mit Spitzhacke und Schaufel bewaffnet durch die Landschaft laufen und dabei ein Loch nach dem anderen in die Erde graben. Wie finden wir also unsere Ausgrabungsstätten? Nun auch hier gibt es mehrere Möglichkeiten, die älteren Ausgrabungsstätten wurden oft durch literarische Hinweise oder durch immer sichtbare Monumente gefunden. Dies sind die ‚alten‘ Methoden. Doch auch die Archäologie hat sich weiterentwickelt und damit sind auch ‚neue‘ Suchmethoden entstanden. Wie zum Beispiel der ‚Survey‘, eine Landschaftsbegehung, bei der nach Oberflächenfunde wie z. B. Keramikscherben Ausschau gehalten wird. Aber auch die Luftbildarchäologie, bei der auf Erhebungen im Gelände geachtet wird oder der Georadar wo der Boden bis auf eine bestimmte Tiefe abgetastet wird und darauf geachtet wird ob sich unterhalb Strukturen von Gebäuden abzeichnen, gehören zu den neueren Methoden.

Nachdem das Grabungsareal abgesteckt wurde kann die Arbeit beginnen. Heute werden dazu nicht mehr hunderte von Einheimischen angeheuert um möglichst viel Erdmaterial beiseite zu schaffen. Stattdessen wird die sogenannte Schichtgrabung angewendet, bei der die unterschiedlichen Erdschichten einzeln abgetragen werden. Man muss sich die Erde wie eine Zwiebel vorstellen und in den einzelnen Schichten sind Artefakte zu finden, die aufgrund dieser Schichten einer bestimmten Zeit zugewiesen werden können. Durch diese Schichtengrabung können wir auch Zusammenhänge feststellen. Ist die Erde in einer Schicht z. B. stark mit Holzkohle und verbrannten Tonscherben versetzt wurde die Stadt wohl durch einen Brand zerstört. Befindet sich darüber eine weitere Schicht in der Mauerreste zu finden sind, dann können wir davon ausgehen, dass die Stadt nach dem Brand wieder aufgebaut wurde. Wir graben uns also von der jüngsten Schicht, meist das heutige Niveau, zur Ältesten durch. Dabei kann in manchen Gegenden der Abstand zwischen der Jüngsten und der ältesten Schicht bis zu 15m betragen, wie zum Beispiel in der Jerusalemer Altstadt! Damit wir die Artefakte aus den einzelnen Schichten dann noch unterscheiden können müssen wir genau Buch führen in welcher Schicht welches Artefakt gefunden wurde und packen diese einzeln ab, um sie später zu reinigen und zu bestimmen.

Die Reinigung und die Bestimmung der von uns aus den Grabungen geborgenen Artefakte ist der wohl aufwändigste Teil unserer Arbeit und nimmt viel Zeit in Anspruch. Doch diese Analyse der Objekte ist wichtig um möglichst viel Information aus der Ausgrabung zu gewinnen. Pflanzensamen und Tierknochen werden von Archäobiologen und Archäozoologen beschrieben und analysiert. Andere Archäologen zeichnen und fotografieren die gefundenen Stücke aus Keramik, Metall und Glas und wenn Architekturteile gefunden werden, werden auch diese vermessen, gezeichnet und fotografiert. Diese genauen Aufnahmen bei Bauten dienen dazu die Baugeschichte genauer zu verstehen und diese zu rekonstruieren, während bei den anderen Gegenständen die materielle Kultur der Bevölkerung bzw. deren Ernährungsgewohnheiten studiert wird. Die Ergebnisse aller dieser Untersuchungen werden anschließend veröffentlicht und damit einem breiteren Publikum zugänglich gemacht. Dadurch können die Ergebnisse der Ausgrabung mit anderen Ausgrabungen verglichen und ein weiterer, größerer kulturwissenschaftlicher Zusammenhang deutlich gemacht werden.

Auch wenn ich bei meinem Supermarkt um die Ecke gerne mal versuche mit meinem Archäologenbonus mein Essen umsonst zu bekommen und ich meinem Vermieter immer wieder versichere, dass es für ihn doch eine Ehre sei seine Wohnung an einen so brillanten Wissenschaftler wie mich zu vermieten, wollen beide immer wieder Geld sehen. Das heißt, ich muss bezahlt werden. Wer finanziert nun die Ausgrabungen? Die Antwort darauf ist einfach: Sie! Jeder einzelne von Ihnen sorgt mit seiner Steuer dafür, dass wir Archäologen weiter in der Erde buddeln dürfen. Der Eine oder Andere von Ihnen mag damit nicht einverstanden sein, jedoch muss ich mit meinen Steuern auch Autobahnen mitfinanzieren, obwohl ich keinen fahrbaren Untersatz besitze. Der springende Punkt an der Finanzierung ist aber derjenige, dass die Kultur der Antike mit ihren Idealen ein Teil unserer modernen Kultur ist. In der Schule lernen wir Literatur, Geschichte, Philosophie und die Sprachen der Antike. Die Regierungsform in Europa ist, mit wenigen Ausnahmen, demokratisch und damit auf die Polis der Antike zurückzuführen. Die Vergangenheit ist auch Teil unserer persönlichen Identität. Und nicht zuletzt beweisen die Besucherzahlen in diversen antiken Städten wie Pompeij (ca. 2 Millionen Besucher pro Jahr) oder Ephesus (ca. 1,5 Millionen Besucher pro Jahr), dass die Öffentlichkeit ein Interesse an der Erforschung der Antike hat.

Natürlich arbeiten nicht alle Archäologen als Ausgräber, manche beschäftigen sich nur mit dem gefundenen Material, andere lehren an der Universität und wieder andere arbeiten in Museen oder in den verschiedenen Einrichtungen des Denkmalschutzes. Ich habe deshalb die Grabung als die Arbeit der Archäologen beschrieben, weil sie als die archäologischte aller Tätigkeiten von Archäologen wahrgenommen wird.

 

Marco Paschinger

 

 

 

 

From → Archäologie

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